Ein Blick hinter die Kulissen – das virtuelle Semester aus Dozierendensicht

Was für ein Semester! Online-Vorlesungen auf dem Sofa, joggen mit Lern-Podcasts im Ohr, virtuelle Diskussionen im Forum und Lernvideos um Mitternacht ansehen – was vor wenigen Monaten undenkbar erschien, war in den letzten Wochen Normalität an der WiSo, an der FAU und an vielen Universitäten weltweit. 

Im #WiSoVirtuell-Blog beleuchten wir regelmäßig die Situation von Studierenden und greifen relevante Themen zur Unterstützung des Lernprozesses auf. Heute gibt es im Blog einen Perspektivenwechsel. Denn genau wie viele Studierende die Zeiten als spannend, herausfordernd, lehrreich, arbeitsintensiv und vielleicht manchmal frustrierend wahrnehmen, so geht es auch den Dozierenden. Wir freuen uns, dass an dieser Stelle Prof. Dr. Steffi Haag, Juniorprofessorin für Wirtschaftsinformatik, und Martin Enders, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik, insb. IT-Management, die Perspektive auf das Corona-Semester schildern. 

Das Sommersemester ist fast geschafft. Wie geht’s euch im Moment? 

Prof. Dr. Steffi Haag (SH): Sehr gut. Ich freue mich aber auf ein paar Tage Erholung.

Infografik zu Martin Enders‘ Lehrveranstaltung

Martin Enders (ME): Gerade im Moment bin ich einfach nur müde und zusammen mit meiner Freundin voller Freude über unsere Tochter die Anfang Juni gesund und munter geboren wurde.

Wir haben uns entschieden, dass wir zusammen mit den Studierenden auf einem “Speed-Track” die Veranstaltung in sechs intensiven Wochen durchführen, um das Semester für die Studierenden zu entzerren. Das war für beide Seiten eine gewisse Herausforderung, hat aber auch viel Spaß gemacht. Ich war beeindruckt, wie die Studierenden die erlernten Inhalte in Form von Instagram-Posts umgesetzt haben oder eine Website mit Tipps wie man seine sozialen Kontakte während der Kontaktbeschränkungen pflegen kann, erstellt haben.

 

Wie fast alle Lehrenden habt auch ihr eure Lehre digitalisiert. Auf welche Formate greift ihr aktuell zurück und warum? 

SH: Meine Veranstaltung „Create Your Fintech Startup“ nutzt die Methode des Flipped Classrooms. Die Lehrinhalte habe ich den Studierenden zu Beginn des Semesters asynchron mittels Lehrvideos, Screencasts, Lesematerialien und Vorlesungsfolien als Onlinekurs auf StudOn bereitgestellt. So ist es den Studierenden möglich, ihre Lernzeit flexibel einzuplanen. In regelmäßigen Gruppen-Coachings via Zoom diskutieren und klären wir dann individuelle Fragen.

Zur Vermittlung der praktischen Fertigkeiten setze ich auf mehr Interaktion unter den Studierenden. Speziell greife ich auf Ansätze des Action Learnings zurück. Das heißt, die Studierenden arbeiten in Teams daran, ihre eigenen FinTech-Startup-Ideen zu entwickeln, umzusetzen und zu testen. Hierfür bearbeiten die Teams regelmäßige Gruppenarbeiten, die sie dann im virtuellen Klassenzimmer synchron via Zoom präsentieren und mit allen anderen Kursteilnehmern diskutieren.

Ich habe mich bewusst auf die von der FAU bereitgestellten Tools zur digitalen Lehre fokussiert, um keine zusätzlichen technischen Hürden für die Studierenden aufzubauen.

ME: Wir haben in der Veranstaltung das Flipped-Classroom-Konzept umgesetzt. Hierbei werden die Inhalte nicht vom Dozenten vorgetragen, sondern von den Studierenden selbstständig erarbeitet. Wir haben den Studierenden sogenannte Micro-Learnings (Präsentation mit Tonspur, ca: 10-20 Minuten) zur Verfügung gestellt. So konnten die Studierenden, die Inhalte in ihrem eigenen Tempo und zeit- sowie ortsunabhängig erarbeiten. Zu den erlernten Inhalten der Micro-Learnings wurden von Studierenden Instagram-Posts erstellt. Für den Austausch und die Kommunikation haben wir uns für Microsoft Teams als Lernumgebung entschieden.

 

Was sind eure Erfahrungen mit den virtuellen Lehr-Lernformaten? Was läuft gut, wo hakt es? 

SH: Sehr gut lief die digitale Umsetzung. Das inkludiert einerseits die digitalen Tools wie die Videokonferenzen via Zoom oder die Bereitstellung auch größerer Lernvideos oder Screencasts via StudOn, andererseits auch die inhaltliche und finanzielle Unterstützung von Seiten der WiSo, allen voran von unserem E-Learning Koordinator Dominik Tress. So konnte ich z. B. eine zusätzliche Hilfskraft einstellen, die mich als Juniorprofessorin gezielt in den Zoom-Meetings unterstützt hat.

Die Methoden Flipped Classroom und Action Learning scheinen weitestgehend auch virtuell aufzugehen. Auffälligster Haken war das Konfliktpotential, das sich innerhalb der meisten Studierendengruppen während der Bearbeitung der Gruppenarbeiten aufgebaut hat. In den bisherigen, nicht-virtuellen Kursen wurden nur vereinzelte Konflikte an mich herangetragen. Ob das nun auf die virtuellen Lehr-Lernformate zurückzuführen ist, wird die Zukunft zeigen.

ME: Das Flipped-Classroom-Konzept und die Lernumgebung haben dazu beigetragen, dass wir sehr intensiv in Kleingruppen kommunizieren konnten. Für unsere Veranstaltung haben wir Microsoft Teams als Plattform für Live-Meetings, Gastvorträge, Chats, sowie zur Bereitstellung von Materialien und zur Erstellung der finalen Ausarbeitungen der Studierenden genutzt. Studierende haben Live-Meetings und Chats für den Austausch untereinander sehr intensiv eingesetzt. Von den Studierenden wurde es positiv wahrgenommen, dass wir uns auf eine Plattform fokussiert haben, auf deren Basis die gesamte Veranstaltung durchgeführt wurde. Die Nutzung von MS-Teams hat vielen Studierenden besonders gut gefallen, da dieses Tool auch in vielen Unternehmen genutzt wird.

 

Wie geht ihr vor, wenn ihr Lernmaterial, wie etwa Videos, erstellt? 

SH: Ich überlege mir zunächst, mit welchem Medium sich die Lerninhalte, die ich vermitteln möchte, am besten darstellen lassen und suche nach geeigneten digitalen Tools, die mich bei der Umsetzung unterstützen. Im Vergleich zu Live-Vorlesungen formuliere ich mir sehr viel genauer vor, was ich sagen möchte. Und dann lege ich los und probiere aus.

Dieses Semester musste alles relativ kurzfristig und pragmatisch gehen. Da blieb wenig Zeit, Lernvideos hochwertig auszugestalten.

Es muss für mich übrigens nicht immer ein Lernvideo sein. Ich persönlich lerne schneller und besser, wenn ich mir die Inhalte selbst durchlese. Deshalb habe ich in meinen Veranstaltungen auf eine Mischung unterschiedlicher Materialien gesetzt.

ME: Für unsere Veranstaltung haben wir Videos, vertonte Präsentationen, Screencasts und Podcasts aufgenommen. Dafür sind wir eigentlich immer ganz ähnlich vorgegangen. Als ersten Schritt haben wir uns überlegt, was wir eigentlich kommunizieren möchten und haben dann jeweils ein kurzes stichpunktartiges “Drehbuch” erstellt. Im zweiten Schritt haben wir mit der Aufzeichnung begonnen, wobei oftmals mehrere Anläufe benötigt wurden, bis das Ergebnis in Ordnung war. Im Anschluss haben wir teilweise noch etwas nachgearbeitet und z.B. Denkpausen oder “ähms” herausgeschnitten. Als Tools für Videos und Screencasts haben wir Open Shot Video Editor sowie Camtasia genutzt, Powerpoint für die vertonten Präsentationen und Audacity für die Podcasts. Alle Materialien haben wir in unterschiedlichen Kanälen in Microsoft Teams zur Verfügung gestellt.

 

Wie läuft die Kommunikation und die Zusammenarbeit mit den Studierenden? 

SH: Meine Kommunikation mit den Studierenden lief hauptsächlich über die — ausbaufähige— Nachrichtenfunktion in StudOn und via E-Mail. Face-to-face haben wir uns in (bzw. vor und nach) den synchronen Live-Sitzungen sowie bei den Coachings ausgetauscht.

ME: Sehr gut. Die Chatfunktion der Plattform hat uns schnelle und persönliche Kommunikation ermöglicht. In Live Meetings mit Kleingruppen konnten wir die zu bearbeitenden Themen effizient besprechen. Die Terminfindung für die Kleingruppen war erstaunlich einfach und die Anzahl der Teilnehmenden war über die gesamte Veranstaltung hinweg sehr hoch. Zusätzlich war interessant zu sehen, dass Studierende teilweise von Zuhause, aus dem Büro oder von der Bushaltestelle aus relativ problemlos teilnehmen konnten.

 

Bis kurz vor Semesterbeginn war lange nicht klar, ob und wie die Lehre an der FAU stattfinden kann. Wie ging es euch damit? 

SH: Unser Studiendekan, Prof. Dr. Karl Wilbers, hat uns mit Beginn des Lockdowns darauf eingestimmt, dass wir mit einem Onlinesemester im Sommer rechnen müssen. Entsprechend frühzeitig habe ich beschlossen, meine Lehrveranstaltung vollumfänglich online zu halten und mich dann darauf konzentriert, wie ich sie am besten digital umsetze. So konnte ich z. B. auch den internationalen Studierenden, die teils gar nicht vor Ort in Nürnberg waren, die virtuelle Teilnahme an meinem Kurs frühzeitig zusichern. Und die Situation bot ja auch einige Vorteile: Ich konnte beispielsweise viele spannende Gastvortragende gewinnen, da der Online-Vortrag von überall möglich war.

ME: Wichtig war für uns von vornherein, dass die Veranstaltung auf jeden Fall stattfinden wird. Deshalb haben wir uns bereits sehr früh darauf vorbereitet, die Veranstaltung rein virtuell durchführen zu können und konnten so sicher und fokussiert in das Semester starten.

 

Voraussichtlich werden wir auch im Wintersemester nicht auf digitale Lehre verzichten können. Was wünscht ihr euch dafür? Plant ihr etwas anders zu machen? 

SH: Ich bin sehr zufrieden mit dem Verlauf des Semesters. Viele meiner Ideen und Umsetzungen haben sich bewährt.

Für das Wintersemester plane ich, die Studierenden vermehrt selbst in die Erstellung virtueller Lernmaterialien einzubeziehen. Außerdem möchte ich mehr Unterstützung dabei bieten, wie eine motivierende Gruppenatmosphäre geschaffen bzw. wie mit potentiellen Konflikten umgegangen werden kann.

ME: Ich wünsche mir, dass es weiterhin großen Spielraum bei der Gestaltung der Lehre gibt. Basierend auf den Erfahrungen dieses Semesters versuchen wir das genutzte Konzept weiter zu verbessern. Zum Beispiel möchte ich im nächsten Semester gleich zu Beginn zusammen mit den Studierenden noch stärker die Modalitäten der Veranstaltung, vor allem die Besonderheiten der virtuellen Zusammenarbeit abstimmen.

 

Was wünschst ihr euch von den Studierenden fürs kommende Semester?

SH: Wünschen würde ich mir entsprechend, dass die Studierenden auch virtuell respektvoll mit ihren Mitstudierenden umgehen und innerhalb der Teams zusammenhalten.

ME: Ich wünsche mir, dass sie weiter so offen, motiviert, kreativ und eigenverantwortlich an den Veranstaltungen teilnehmen, wie wir das im aktuellen Semester erlebt haben. Unsere Aufgabe ist es dabei, die passenden Rahmenbedingungen dafür zu schaffen.

 

Zu guter Letzt freuen wir uns über euer Fazit aus Dozierendensicht zum Corona-Semester!

SH: Mein Fazit: Unser Umgang mit dem Corona-Semester ist ein gutes Vorbild für viele nationale wie internationale Universitäten bzw. Fakultäten.

ME: Die Corona-Pandemie als Auslöser ist natürlich furchtbar, trotzdem habe ich in diesem Semester sehr viel gelernt und Positives erfahren z.B. die Zusammenarbeit mit Studierenden und jede Menge Unterstützung und Gestaltungsspielraum durch die FAU und die WiSo. Ohne unsere Studentische Hilfskraft Hoan hätten wir das nicht geschafft, dafür bin ich ihr sehr dankbar.

 


Steffi Haag

Zu Prof. Dr. Steffi Haag

Prof. Dr. Steffi Haag ist Juniorprofessorin für Wirtschaftsinformatik an der FAUWiSo. Sie arbeitete an renommierten Universitäten in Deutschland, Finnland und den USA und lehrt zu den Themen digitale Transformation im Versicherungswesen, User Experience (UX)-Management, digitale Geschäftsmodelle und Geschäftsprozessmanagement.

 

Martin Enders

Zu Martin Enders

  • 2004-2011 Studium Wirtschaftsinformatik FAU
  • 2011-2017 Mitarbeiter am UK-Erlangen im Bereich Systemintegration
  • Seit 2017 wissenschaftlicher Mitarbeiter/Promovend Lehrstuhl für IT-Management